Anmutung oder rein physische Betrachtungsweise

Um den Unterschied zwischen dem, was man Anmutung nennt und der rein auf die körperlich sichtbare Erscheinung fixierten Betrachtungs­weise zu verdeutlichen, bietet sich die Antlitz-Gestalt von Carl Sandburg, einem ameri­kanischen Lyriker und Journalisten, hervorragend an.

Wenn man nur das Körperliche sehen will *, erblickt man, von vorne betrachtet, zuallererst die große, sich dem Gegenüber kartoffelartig entgegenwölbende, weich-runde Nasenform, die ihre Fortsetzung im gesamten Bereich darunter von nach unten auseinanderlaufender, lappiger Oberlippe, dem breitem Mund bis hin zum, durch ein Grübchen geteilten, Kinn findet.

Alles wirkt fleischig und angenehm gepolstert. Im Gegensatz hierzu stehen die zusammengekniffenen, in tiefen Höhlen liegenden Augen, die überdacht sind von wuchtigen Augenbrauenknochen. Im Profil fällt auf, dass die Ohren weit hinten sitzen, fast schon am Hinterkopf, und dass Nase, Mund und Kinn regelrecht nach unten und nach rechts herausgeschoben sind wie bei einem Tier. Im Profil erinnert die gesamte Kopfform an ein nach links geneigtes spitzes Ei, sehr markant und eigenartig.

Nimmt man all dieses Physische – und nur dieses – als Grundlage für ein Urteil, so muß man zu dem Schluß kommen, dass es sich hier um einen plumpen, grobschlächtigen, vielleicht sogar rücksichtslosen und von animalischen Trieben geleiteten Menschen handelt, ausgestattet mit einer abgepolsterten, nicht sehr großen Wahrnehmung der eigenen Empfindungswelt und der seiner Mitmenschen.

Im Grunde geht das gar nicht. Als soziale Wesen waren und sind wir immer abhängig davon, unser Gegenüber bestmöglich zu erkennen und einzuordnen. In Sekundenbruchteilen fällen wir ein Urteil, bewusst oder unbewusst. Selbst in der Coronazeit mit den Masken auf den Gesichtern, konnte man jederzeit die Mimik des Gegenübers erkennen und einschätzen. Die ererbte und erworbene Erfahrung hat das Nichtsichtbare ergänzt.

Entsprechungen der Erscheinungsform im Horoskop

Für die weitere Beschreibung dient uns die hier abgebildete Projektion des menschlichen Gesichtes in den Horoskopkreis als Grundlage:

Die abgebildeten Erscheinungsformen von Carl Sandburg finden natürlicherweise im Horoskop des Lyrikers ihre Entsprechung. Die Mehrzahl der Planeten findet sich im II. Quadranten wieder. Zusätzlich haben wir noch die Besonderheit, dass diese Planeten äußerst harmonisch im Abstand von 15, 30, 45, 60 und 90 Grad voneinander entfernt sind. Diese einmalige, wie aufschlußreiche Figuration beginnt mit einem Mars am Deszendenten, der eine Einkerbung und Vertiefung an der Nasenwurzel bedingt, so dass die Nasenform weiter als üblich nach rechts herauszutreten scheint. Saturn (im Spiegelpunkt und Halbsextil zu Mars und an der Spitze des 6. Hauses das Riechen als Teil der Wahrnehmung verkörpernd) nimmt diese Vorgabe dankbar auf und verleiht ihr noch mehr Bestimmung, indem er verdickt und vergrößert entsprechend seinem besonderen Gewicht im Reigen der Planeten. Venus folgt nach und formt den Bereich oberhalb der Lippen und den weichen Mund heraus. Und als ob der Pölsterchen noch nicht genug wären, sagt Mond: „Ich schmiege mich an die Unterlippe an wie ein Nest“

Sonne und Jupiter auf Steinbockgrund direkt am IC bilden einen würdigen Abschluss, indem sie am Kinn ein in die Breite laufendes Polster mit etwas stärkerer Konturierung bilden. Ein Bildhauer und plastischer Modellierer hätte seine wahre Freude an diesem Gesicht. Die Augen in der Linie von Spitze Haus 11 zu Spitze Haus 8 machen das Wahrnehmungsprinzip der Jungfrau sichtbar als Augenschlitze, wobei das rechte Auge (vom Betrachter aus gesehen), umrahmt von der Neptun-Pluto-Verbindung, vom Schlaf übermannt zu werden scheint.
In diesem speziellen Fall scheinen die Planeten auf den Achsen wirklich erkennbar in ihrer Auswirkung auf das Sichtbare zu sein. Es gibt Beispiele dafür, dass, wenn Mars und Saturn ungefähr so stehen wie bei Carl Sandburg, genau diese Art von Nase dabei „herauskommt“.

Anmutung als offenere Herangehensweise

Schauen wir uns die Anmutung als völlig andere Sicht- wie Herangehensweise an: Sie enthält das gemeingermanische Wort „muot“ und bezeichnet ursprünglich alle triebhaften Gemütsäußerungen und seelischen (Erregungs)-Zustände des Menschen und deren dahinterliegenden Sinn. Anmuten hat demzufolge die Bedeutung „den Sinn an etwas heften“, was aufzeigt, dass Anmutung das Körperliche natürlich nicht außer acht lässt, diesem jedoch einen über das Materielle hinausgehenden Sinn und damit Bedeutung verleihen möchte.

So betrachtet ist Anmutung eine Sichtweise, die dem Individuum sehr viel gerechter wird als eine rein materielle. Sie ist gewillt, aufzuschließen und ohne Vorstellung geduldig abzuwarten, was hereinströmen will. Sie nimmt alle Kanäle der Wahrnehmung in Anspruch, greift aber auch auf Erfahrungen zurück, die man mit diesem oder jenem Typus Mensch gemacht hat und sie traut sich, alles Empfangene in einem einzigen, wesentlichen Urteil zu kondensieren.

Wie mutet nun „der Fall Sandburg“ an?


Zuallererst spürt man, wenn man sich in freundlichem, offenen und zulassenden Sinne auf diese hügelige Landschaft von Gesicht einlässt, dass man es mit einem seelisch tief angerührten, extrem empfindsamen Menschen zu tun hat. Diesem ist nicht alles egal wie den meisten anderen. Ganz im Gegenteil dringt bei ihm alles viel tiefer ein als ihm lieb ist.
Das Wolfsprofil macht ehrfürchtig, weil man die inneren und wohl auch äußeren Kämpfe erkennen kann, denen er ausgeliefert gewesen sein muß. Kämpfe um das eigene Selbst, die eigene Identität, die eigene Sichtweise, das Ausbalancieren der eigenen Extreme. Man denkt an Eltern, die ihn bedrängen, an eine Gesellschaft, die das Individuelle hasst.
Parallel dazu wird man der Fliege gewahr, die er um den Hals gebunden hat und die darauf hindeutet, dass er zumindest auf einen Ausgleich der Gegensätze hinstrebt und ziemlich sicher ein Waage-Aszendent ist. Was ist der Waage zueigen? Sprachgewalt und Denkpeitsche, haben wir gelernt. Bildempfang, Bildausgabe. Ausgleich von Gegensätzen. Selbstergänzung.
Die Fliege gehört zwar nicht mehr zum Gesicht, aber wenn man sieht, dass alle in der zugehörigen Gruppe – Aszendent Waage mit Sonne in Haus 4 – etwas Ähnliches um den Hals tragen, dann muß das eine Bedeutung haben. Man möchte ausrufen: „Waagen, Waagen – steifer Kragen!“. Doch so steif ist dieser Kragen gar nicht. Durch den Hals steigt die Sprache nach oben, er scheint für die Waage sehr wichtig und schützenswert zu sein. Man hat hier nicht den Eindruck der Abschnürung wie bei einer Krawatte, sondern eher, dass der Hals stabilisiert und verlängert werden soll, damit die Worte gerader und aufrechter durchkommen können.

Aszendent Waage mit Sonne in Haus 4
mit der Anmutung „Innendrin ist eine ernste Angelegenheit;“

Mit Sonne in Haus 4 geht es um die Durchsetzung und Konsolidierung des Inneren, in der Behauptung gegenüber der vorherrschenden Übermacht des I. Quadranten, der Überwichtigkeit des Materiellen. Wenn dieser Prozess genügend vorangeschritten ist, ergibt sich so etwas wie Identität und Eigenart und im vergrößerten Sinne Heimat, was nichts anderes heißt als dass das Außen dem Innen antwortet mit gemäßen Erscheinungsformen und Eigenarten. Wie ernst sie alle blicken mit ihren Steinbock- oder Wassermannsonnen, mitten in der Akkumulation dieses seelischen Prozesses.

Nun fällt auf, dass Sandburg doch nicht ganz zur Gruppe passt. Es ist da eine Spur von Überheblichkeit, von Besserwisserei in seinem Gesicht zu erkennen, von Funktionellem, Nichtseelischem, das den anderen in dieser Gruppe fehlt. Bei ihm ist es so, daß Jupiter die Sonne in ihrer Wirkung wohl auch ins dritte Haus hineinzieht, so dass für ihn zusätzlich die Gruppe „Waage 3“ zuständig wird, bei denen das überheblich wirkende Belehrungs- und Darstellungsmoment sehr deutlich in Erscheinung tritt:

Aszendent Waage mit Sonne in Haus 3
mit der Anmutung „Ich werde euch schon Mores lehren;“

Fasst man die Anmutung beider Gruppen in einem Kernsatz zusammen, so lautet dieser: „Innendrin ist eine ernste Sache und ich werde euch schon Mores lehren!“

Das passt zum bekanntesten Zitat von Carl Sandburg, das von Friedensbewegungen in aller Welt vereinnahmt wurde: „Sometime they’ll give a war and nobody will come.“ Ins Deutsche nur schlecht übersetzt mit: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!“, denn er sagt ja: „…they will give a war…, also personifiziert im Sinne des 4. Hauses, so dass man sich fragen muß, wer „die“ sind. Gleichzeitig ist dieser Satz aber auch demonstrativ-belehrend und als Slogan gut verwertbar, damit dem dritten Haus zugehörig.

Um zu verdeutlichen, daß sich mit der Anmutung und ihrer Beschreibung die grundlegende Horoskopstruktur im Aussehen eines Menschen besser erkennen lässt als in der Konzentration auf Einzelplaneten auf den Achsen, hier ein weiteres Beispiel:

Siegfried Borris besitzt in seinem Horoskop ebenfalls einen Mars nahe am Deszendenten und einen Saturn im Abstand von 30 Grad in Richtung des 6. Hauses, aber schon weit im 5. Haus stehend. Auch hier finden wir eine Vertiefung an der Nasenwurzel, ein etwas weiteres Heraustreiben der Nase und eine saturnische Verdickung sowie Gewichtung der Nasenform nach unten.

Aber damit hat man ja noch keine inhaltliche Aussage, „keinen Sinn, den man anheften kann“. Gut, Mars treibt Bilder und formulierte Gedanken heraus und Saturn schränkt im 5. Haus das Überbordende der Subjektivität ein und gestaltet das Wahrgenommene in monolithischen Blöcken. Was weiß man dann? Noch nicht viel.

Er gehört zur Gruppe „Schütze 3“:

Aszendent Schütze mit Sonne in Haus 3
mit der Anmutung „Kompromisse, wo keine möglich sind, danach übertünchte Resignation;“

Viele werden im Vergleich von Sandburg und Borris sagen: „Ich sehe da nur zwei Gesichter. Beide haben große Nasen. Die Haare sind anders gekämmt. Schlitzaugen haben sie beide. Die Kopfform ist nahezu ähnlich. Viel Unterschied ist da nicht.“

Da kann man nur entgegnen: In Sandburg liegt viel mehr Provokation, mehr Aggression und Widerstandswillen. Wenn da ein Windstoß kommt, da rührt sich gar nichts bei dem. Borris schaut freundlicher, zurückgenommener, das Kinn ist hagerer. Sobald der auf Widerstand trifft, gibt er schrittweise nach. So ist der Eindruck. Obwohl also das Körperliche, auch das Gewebe, bei ihm etwas straffer scheint als bei Sandburg, signalisiert alles an ihm die Nachgiebigkeit und mögliche Unterwerfung, sobald ein Rücksichtsloserer auftaucht.